03.07.2023, Autor: Geert-Jan Gorter
Die schnell fortschreitende Digitalisierung bietet auch für die Berufliche Orientierung (BO) ungeahnte Potentiale. Erst einmal bieten die mit künstlicher Intelligenz (KI) gefütterten Internetsuchen immer bessere Ergebnisse, z. B. wenn Schüler:innen sich über geeignete Suchbegriffe über Studium, Ausbildung und Beruf informieren möchten. Als großer Schritt nach vorne ist ChatGPT zu erwähnen, Schüler:innen können beispielsweise ganz gezielt nach Voraussetzungen und Beschreibungen von einzelnen Berufen fragen. All dies erfordert von den Schüler:innen digitale Kompetenzen, die C. Wiepcke und M. Tuchscherer in 5 Bereiche einstufen (Berufliche Orientierung und Beratung: Aktuelle Herausforderungen und digitale Unterstützungsmöglichkeiten, Springer, 2023 , S.225):
- Umgang mit Informationen und Daten (z.B. Suchen, Auswerten und Organisieren von Daten)
- Kommunikation und Zusammenarbeit mit anderen
- Das aktive Erzeugen von digitalen Content
- Bewusstsein über die persönlichen Daten, digitale Sicherheit
- Probleme lösen
Dieses Kompetenzmodell bündelt digitale und BO-Kompetenzen (Jung 2019, Driesel-Lange et al. 2010).
Prof. Dr. Schröder hat in „Berufliche Orientierung in der Schule. Gegenstand der ökonomischen Bildung“ (Springer Verlag, 2019) zusammengefasst: „Berufliche Orientierung findet in einem individuellen Spannungsfeld zwischen den persönlichen Interessen und Talenten, den Einflüssen des sozialen Umfeldes sowie den Anforderungen der Arbeitswelt und des Arbeitsmarktes statt“ (S.30). Das bedeutet, dass zum einen der Beruf zu den Interessen der Lernenden und zum anderen die Lernenden zu den Anforderungen des Berufes passen sollen. Aus diesem Grund gilt es die eigenen beruflichen Vorlieben in Bezug auf die Anforderungen des Arbeitsmarktes ständig zu reflektieren. Aufgrund von gesellschaftlichen Entwicklungen wie beispielsweise der digitalen Transformation sind kontinuierliche Anpassungsprozesse der Schüler:innen erforderlich. Die Berufliche Orientierung lässt sich schon lange nicht mehr auf eine Entscheidung begrenzen, sondern ist ein lebenslanger Prozess.
Ein weiterer Grund für die Notwendigkeit kontinuierlicher Reflexion ist nicht neu, sondern liegt in der Natur der persönlichen Entwicklung und Reife: Einzelne geäußerte Interessen können anfangs – z. B. in Klasse 8 – noch „naiv“ sein. Eine Person denkt, dass sie Bäcker:in werden möchte bis sie möglicherweise auf Basis von Erkenntnissen aus der Praxis ihre Meinung revidiert. Deshalb ist die intensive Beschäftigung mit Schulpraktika, Schnuppertagen usw. für die Reflexion und die Steigerung der Berufswahlkompetenz sehr relevant.
Aus diesen Gründen sollten moderne Softwaretools zur Unterstützung des BO-Prozesses nicht mehr von einem einmalig durchgeführten Test ausgehen, sondern vielmehr die Unterstützung und die ermittelten Empfehlungen an den sich verändernden Gegebenheiten anpassen. Lange, statische Fragelisten sind nicht mehr geeignet zur ersten Orientierung. Vielmehr können mit Hilfe von KI und Gamification kontinuierliche Benutzer-Interaktionen spielerisch zu besseren Ergebnissen führen. Die Kombination von etablierten digitalen Methoden wie dynamisches Profiling und Matching, der Einsatz neuronaler Netzwerke, Item Response Theory mit modernen psychometrischen Verfahren ermöglichen zu jedem Zeitpunkt des Orientierungsprozesses erheblich passgenauere Vorschläge zum Schulanschluss als es mit herkömmlichen Methoden der Fall ist.